Tafel 9: Hexenverfolgungen in Hessen
Insgesamt wurden in Hessen mindestens 1.722 Menschen wegen Hexerei hingerichtet. Diese Zahl weist die damaligen
hessischen Territorien nicht als Gebiete der höchsten Verfolgungsdichte aus, gemessen an den historischen
Herrschaftsbereichen in den heutigen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern (im fränkischen Teil) oder auch
in Teilen Nordrhein-Westfalens. Gering mutet die Zahl auch an, wenn man sie mit den Hunderttausenden von Opfern
in Bezug setzt, die etwa der Dreißigjährige Krieg forderte. Um sich die soziale Wirkung vorstellen zu können,
muss man sich allerdings vergegenwärtigen, in wie engen, überschaubaren Verhältnissen sich manche Verfolgungswellen
abspielten. Sie forderten in Orten von oft nur einigen hundert Einwohnern (wie Büdingen, Bingenheim, Lindheim, Wildungen)
innerhalb weniger Jahre oft Dutzende von Opfern. So kann man sagen, dass die Hexenverfolgungen in Deutschland
nach den Judenverfolgungen die größte nicht kriegsbedingte Massentötung von Menschen durch Menschen (G. Schormann)
verursacht haben.
Die hier angedeutete Parallelität der Vorgänge lässt sich auf mehreren Ebenen feststellen: Wie bei
der Judenverfolgung existierte ein Verschwörungsmythos, der pseudowissenschaftlich imaginäre Verbrechen
einer Menschengruppe zuschrieb, deren Ausrottung gefordert wurde. Diese Gruppe wurde als Sündenbock,
d.h. als Ursache für schwer durchschaubare politische und ökonomische Krisen gesehen. Vergleichbar ist
auch die weite Verbreitung dieser Überzeugung wie die Tatsache, dass Volk und gesellschaftliche Eliten
mehrheitlich im Glauben daran einig waren. Die treibende Kraft der Hexenverfolgungen waren oft auch
die Untertanen selbst, die die Obrigkeit beharrlich um Verfolgung der Hexen baten. Diese waren unter
ihren Nachbarn, wenn nicht sogar unter der eigenen Familie zu finden. Hier wiederum unterscheiden sich
Hexen- und Judenverfolgung. Zwar wurden, ähnlich wie im rassistischen Denken, beiden Gruppen imaginäre
(negative) Merkmale zugeschrieben; doch waren Juden jedenfalls religiös anders als ihre Nachbarn.
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